An den Märkten und in der Finanzpresse schlagen die Zinsentscheidungen der großen Zentralbanken hohe Wellen. Grund genug, die Auswirkungen von Zinsentscheidungen auf die Renditen von Anleihen einmal genauer zu untersuchen.
Nach zwei turbulenten Jahren sind die langfristigen Renditeaussichten für Anleihen so attraktiv wie seit Jahrzehnten nicht mehr – nicht zuletzt dank höherer Zinsen.
Tatsächlich haben die wichtigsten Zentralbanken zwischen Ende 2021 und Sommer 2023 ihre Zinsen in rasantem Tempo angehoben, der Zinssatz für die Einlagefazilität der Europäischen Zentralbank beispielsweise stieg von 0,0% im Juli 2022 auf 4% im September 2023 (und liegt seit Juni 2024 bei 3,75%). Anleihen, die seit Beginn des Zinsanstiegs emittiert wurden, werfen daher deutlich höhere Renditen ab als Anleihen, die in den Jahren zuvor auf den Markt gekommen sind.
Dieser Anstieg der Einkommensrenditen hat maßgeblichen Einfluss auf den Beitrag, den Anleihen zur Gesamtrendite eines Portfolios leisten.
Anders als die Ertragskomponente von Anleihenrenditen, die sich deutlich verbessert hat, haben die Kursrenditen in den letzten 18 Monaten gelitten. Das Jahr 2022, das geprägt war von zweistelligen Verlusten an den Anleihenmärkten bei gleichzeitigen Aktienkursverlusten (wie zuletzt im Jahr 1977 geschehen1), dürfte zahlreichen Anlegerinnen und Anlegern in schlechter Erinnerung sein. Die Ursache für die Kursverluste und die anschließende Volatilität liegt in den Zinsen und vor allem in den Markterwartungen an die zukünftige Zinsentwicklung.
Inzwischen haben die Leitzinsen ihren Höhepunkt bereits hinter sich, auch die US-Notenbank dürfte das Zielband für die Federal Funds Rate in naher Zukunft senken. Der Zeitpunkt ist also günstig, um den Einfluss der Zinsen auf die Renditen von Anleihen einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Volatilität, die wir seit 2022 an den Anleihemärkten beobachten konnten, ist das Ergebnis der Zinssensitivität von Anleihen, die man auch als Durations-Risiko2 bezeichnet. Anleihen mit längeren Laufzeiten haben eine höhere Duration, weil der Wert ihrer künftigen Kuponzahlungen sinkt, wenn in einem Umfeld höherer Zinsen neue Anleihen mit höheren Kupons emittiert werden. Sinkende Zinssätze führen dagegen in der Regel zu einem Anstieg der Kurse langfristiger Anleihen.
Diese Bewertungsanpassung von Anleihen richtet sich nach der Rendite, die Anlegerinnen und Anleger erhalten würden, wenn sie eine Anleihe bis zu ihrer Fälligkeit hielten (weshalb man auch von der Rendite bis zur Fälligkeit spricht). Steigen die Zinsen, sinken die Kurse ausstehender Anleihen meist, da Anlegerinnen und Anleger beim Kauf neuerer Anleihen höhere Kuponzahlungen erwarten können. Sinken die Zinsen, passiert das Gegenteil.
Man könnte jetzt denken, die Beziehung zwischen Zinserwartungen und Anleiherenditen sei relativ simpel und einfach in höhere Rendite umzumünzen, doch die Märkte, darunter auch zahlreiche professionelle Investoren, können sich irren – und tun dies auch oft. Wenn sich die Zinsen beispielsweise nicht wie erwartet entwickeln, können taktische Positionen sogar zu deutlich größeren Verlusten führen als ein Portfolio, das entlang der gesamten Zinskurve diversifiziert ist.
Und am Staatsanleihenmarkt können Zinserwartungen sogar größere Kursausschläge verursachen als tatsächliche Zinsänderungen. Gehen die Märkte davon aus, dass die Zentralbanken den Leitzins anheben (oder senken) werden, werden einige Marktteilnehmer ihre Anleihepositionen anpassen, um ihre Rendite zu optimieren. Diese höhere Nachfrage kann die Kurse zusätzlich beeinflussen.
Der schnelle Anstieg der Zinsen in den USA, im Euroraum und in Großbritannien hat die Volatilität an den Anleihenmärkten erhöht, da manche Anlegerinnen und Anleger ihre Transaktionen zeitlich möglichst optimal platzieren wollten. Zum Beispiel haben einige in Geldmarktinstrumente und kurzfristige Anleihen investiert, um der Volatilität auszuweichen und von den höheren Zinsen auf Bargeld zu profitieren. Irgendwann werden diese Anlegerinnen und Anleger jedoch wahrscheinlich zu einem traditionellen, diversifizierten Anleihen-Exposure zurückkehren wollen, um von einem Wiederanstieg der Kurse bei fallenden Zinsen zu profitieren. Dazu müssen sie jedoch investieren, bevor der Markt diese Zinssenkungen einpreist.
Außerdem sollte man nicht vergessen, dass Anleihen traditionell ein gutes Gegengewicht zur Volatilität der Aktienmärkte waren.3 Anlegerinnen und Anleger mit einem Multi-Asset-Portfolio sollten daher sehr sorgfältig abwägen, bevor sie von kurz- in langfristige Anleihen umschichten und so das Risiko-Exposure ihrer Anleihen-Allokation erhöhen.
1 Quelle: Bloomberg. Hinweis: Jährliche Gesamtrenditen in USD von 1977 bis 2022. Für Aktien verwenden wir von 1977 bis 1987 US-Aktien, dargestellt durch den MSCI USA Index, anschließend globale Aktien, dargestellt durch den MSCI ACWI Index. Für Anleihen verwenden wir von 1977 bis 1990 US-Anleihen, dargestellt durch den Bloomberg U.S. Aggregate Index, anschließend globale Anleihen, dargestellt durch den Bloomberg Global Aggregate Index Value (USD Hedged).
2 Das Duration-Risiko hängt von verschiedenen Eigenschaften einer Anleihe wie Rendite, Kupon und Laufzeit ab und zeigt an, wie eine Anleihe oder ein Anleihenportfolio auf Zinsänderungen reagiert. Anleihen entwickeln sich umgekehrt proportional zu Zinsänderungen: Steigen die Zinsen, fallen die Anleihenkurse – und umgekehrt. Je länger die Duration einer Anleihe (in Jahren), desto empfindlicher reagiert ihr Kurs auf Zinsänderungen.
3 Vanguard-Analyse auf der Grundlage von Bloomberg-Daten. Eine Analyse der jährlichen Gesamtrendite von globalen Aktien und globalen Anleihen für den Zeitraum vom 29. Dezember 2001 bis zum 31. Dezember 2022 ergab, dass globale Anleihen in fünf der sechs Jahre, in denen die globalen Aktienmärkte Verluste abwarfen, eine positive Rendite erzielten.Anleihen: Bloomberg Global Aggregate Total Return Index (abgesichert in EUR); Aktien: FTSE All-World Total Return Index (in EUR). Die Wertentwicklung eines Index ist keine exakte Darstellung einer bestimmten Anlage. Anlegerinnen und Anleger können nicht direkt in einen Index investieren, die Wertentwicklung berücksichtigt daher keine Kosten für eine Anlage in den jeweiligen Index. Die Wertentwicklung wird auf Grundlage der Veränderung im Nettoinventarwert bei Wiederanlage der Bruttoerträge berechnet.
Quelle: Vanguard / ‘Wie Zinsen die Renditen von Anleihen beeinflussen’ von Mohneet Dhir (Multi-Asset Product Manager, Vanguard Europe)